Autoreninfo | Natalija Krenz | |
aktualisiert: 27.09.2012 | Online Redakteurin | |
Gesundheit und Erziehung |
Mein Sohn Jacob kam am 3.6. per Saugglocke zur Welt. In Leipzig. Eine lange und anstrengende Geburt lag hinter uns. Mein Freund war zwar mit im Krankenhaus, aber in der letzten Phase der Geburt hab ich ihn aus dem Kreißsaal geschickt. Ich konnte mich nicht auch noch auf ihn konzentrieren.
Gleich am Tag von Jacobs Geburt bekamen wir den ersten Besuch: vom Bruder meines Freundes. Nicht sehr angenehm für mich: fertig, ausgepowert, mit strähnigen Haaren und ungeduscht musste ich den Besuch empfangen. Zum Glück blieb er nicht lang und auch mein Freund ging nach Hause, um alles für unsere Ankunft vorzubereiten und um mir Zeit zum Schlafen zu geben. Aber das ging nicht so richtig. Ich war zwar müde, trotzdem auch aufgewühlt und "durchwirrt".Am Tag danach ging es munter weiter mit dem Gästeandrang: meine Cousine samt Kind und Freundin und deren Kind standen im Zimmer und wollten "nur mal kurz gucken". Sie blieben eine Stunde und dann hatte ich wieder meine Ruhe. Einen Tag später: meine Mutter und meine Oma. Und tags drauf: mein Vater und die andere Oma. Alle wohnen 100 km weit weg. Und alle sind gekommen. Obwohl ich so fertig war. Ich hab das irgendwie wie in Trance erlebt. Natürlich wollten auch alle das Baby halten. Das war das Schlimmste. Als junge Mutter sein Baby zu anderen auf den Arm geben. Und sei es nur die eigene Mutter. Aber es schmerzt höllisch. Was, wenn es weint? Wenn die anderen es trösten wollen? Was, wenn sie es falsch halten? Oder es herunterfällt? Man ist überzeugt, das Baby gehört nur zu einem selbst und man will es niemals nicht auch nur Sekunden abgeben.
Ich hätte von vornherein allen gleich absagen müssen; dann wäre vieles einfacher gewesen. Aber wenn man gefragt wird und alle so aufgeregt sind und sich freuen, dann kann man schlecht nein sagen. Zu Hause ging es etwas ruhiger zu. Mein Freund bekochte und behütete mich und Jacob sehr gut. Er hat extra seinen Jahresurlaub dafür genommen. Also schlief ich, stillte und schlief und aß und trank und schlief und stillte. Das war mein Leben in der ersten Woche.Nun, auch dieser Tag ging zu Ende und ich verbrachte danach mit meinem Sohn noch zwei Tage bei meinem Vater im Nachbarort. Meine Hebamme riet mir, dort ein wenig zu entspannen und die lange Zugfahrt nicht gleich am nächsten Tag anzusetzen. Mein Freund musste wieder arbeiten, und so blieb ich allein. Mein Vater ist sehr feinfühlig und nimmt mir mein Baby nicht einfach aus den Armen. Er redet leise und ist sehr behutsam im Umgang mit kleinen Kindern. Sein Sohn, mein Halbbruder, ist gerade 5. So verbrachte ich noch zwei ruhige Tage in ländlicher Umgebung. Ja. Schön wäre es gewesen. Aber auch hier gab es eine Oma und auch die wollte den Kleinen mal sehen. Ich zögerte. Schließlich hatte genau diese Oma nach ihrem Besuch damals im Krankenhaus von "großer Enttäuschung" gesprochen. Weil es kein Foto von ihr mit Baby gab. Für mich als Wöchnerin, zwei Tage nach der Geburt, war es absolut unwichtig, dass die Oma ein Foto mit ihrem Urenkel hat. Ich war müde, erschöpft, traurig und glücklich zugleich. Was interessiert mich da ein Foto? Ihr zuliebe ging ich trotzdem zum Kaffee zu ihr. Ich wusste allerdings nicht, dass meine Tante auch dort war. Die Tante, die es nach der Geburt ihres ersten Enkels nicht schaffte, ihre Tochter wenigstens mal anzurufen. Monatelang war es ihr scheinbar egal. Vor anderen spielt sie dann die liebevolle Überoma. Leider hängt das Desinteresse mit der dunkleren Hautfarbe des Enkelchens zusammen. Unglaublich! Und diese Tante nun war es, die mein Baby, kaum dass ich zur Tür drin war, aus der Schale nahm. Obwohl es noch schlief! Was dann folgte, waren zwei qualvolle Stunden voller Herzbluten. Zuerst überhörte sie meinen Hinweis, dass das Baby noch geschlafen hatte. Dann schleppte sie ihn umher, tätschelte und kusselte ihn dass mir regelrecht schlecht wurde. Als er weinte, gab sie ihn mir nicht zurück. Nein, die Tante kann ihn auch beruhigen. Nein, er muss sich doch an die Tante gewöhnen. Nein, nun hab dich mal nicht so. Und immer dieses Rumgeschleppe und Gezerre an dem kleinen Kerl. Ich bin dann wutentbrannt gegangen. Mit Baby natürlich. Weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Nicht mal meiner Oma wollte sie den Jungen geben. Und das Schärfste war ihr Kommentar: "Na beim nächsten Mal kann ich den Kleinen ja wieder verwöhnen. Das geht ja in Leipzig nicht." Ich dachte ich muss sie killen. Als ob ich mein Kind nicht verwöhne und mit Liebe überschütte! Und verwöhnen war das, was sie da gemacht hat, wohl kaum. Am Abend stellte ich mich mit meinem Sohn unter die Dusche und spülte all den Ärger des Tages von uns ab. Und ich versprach ihm, von nun an auf mein Gefühl zu hören. Ihm zuliebe. Und ich erkannte, dass es ok ist, auch mal nein zu sagen. Nein, ich möchte ihn jetzt selbst halten. Nein, er kennt dich noch nicht gut genug. Nein, er ist noch zu klein um herumgereicht zu werden. Nein. Das muss genügen. Ich bin seine Mama und ICH sorge für ihn.
Einen unangenehmen Besuch gab es dann doch noch. Meine Freundin wollte mich wiedersehen. Sie hatte die erste Nacht ohne ihren kleinen Sohn verbracht, weil sie in der Stadt ein Gespräch hatte. Wir freuten uns sehr, uns endlich wiederzusehen. Erzählten über alles, was im vergangenen Jahr so passiert war. Doch dann klingelte es und meine Mutter stand unangemeldet vor der Tür. Im Schlepptau ihren Freund, meinen Bruder und meine Oma. Das Timing hätte schlechter nicht sein können. Ich war gerade beim Wickeln-zwischen-den-Mahlzeiten (Ein Tipp meiner Hebamme für schläfrige Babys: stillen, wickeln, andere Seite stillen). Meine sehr unsensible Mutter stellte sich neben mich an den Wickeltisch und tätschelte dem armen Jungen laut krakehlend vor der Nase rum. Mich begrüßen? War einmal. Feinfühligkeit? Kennt sie nicht. Stattdessen die Aufforderung: "Na dann lass ihn mich mal nehmen." Ich lehnte ab, da ich ja noch stillen wollte. Ich bat die Gäste, mich dabei allein zu lassen. Sie konnten ja schonmal Kaffee kochen und sich selbst beschäftigen. Meiner Freundin wurde all der Trubel zu viel und sie ging verfrüht. Was ich verstehen kann. Ich nahm es ihr auch nicht übel. Ich stillte Jacob in Ruhe im Schlafzimmer, als meine Mutter (habe ich schon erwähnt, dass sie unsensibel ist?) breit grinsend herein kam und meinte, sie wolle "nur mal gucken". Das kannte ich noch von anderer Stelle. Auf mein Bitten, im Wohnzimmer zu warten bis ich fertig bin, maulte sie: "Was ist denn dabei? Schämst du dich?" Ich war wütend. Nein, ich schämte mich nicht. Ich wollte einfach, dass mein Sohn in Ruhe seine Nahrung bekommt. Es stört einfach, wenn gleichzeitig eine fremde Person seine Händchen befingert. Als ich fertig war und mich zu meinen (unangemeldeten) Gästen gesellte, fragte meine Mutter wieder: "Kann ich ihn jetzt mal haben?" Den Mund noch voll Kuchen und ohne Rücksicht auf Jacobs Befinden. Ich schnalzte mit der Zunge, weil es wirklich nervte. Da war sie gleich beleidigt, nach dem Motto: ja ich weiß schon, du willst nicht dass er seine Oma kennenlernt. Das war doch die Höhe! Mir ging es lediglich darum, es ruhig angehen zu lassen. Erstmal alle setzen, sich friedlich unterhalten, Jacob alles anschauen lassen. Wenn er gleich vom einen zum anderen gereicht wird, kann er doch kein Vertrauen in die Situation gewinnen.Tja, so einige Dinge sind erst dann bedeutend, wenn man sie selbst erlebt. Früher sind mir diese Dinge nie aufgefallen, aber jetzt als frischgebackene Mutter fällt mir so einiges auf. Wie unfreundlich Autofahrer in Bezug auf Frauen mit Kinderwagen beim Überqueren der Straße sind. Wie lästig es ist, wenn fremde Leute das Baby betatschen. Selbst im Tragetuch gehen sie immer wieder an seine Füßchen, einmal sogar an sein Köpfchen. Da wurde ich fuchtig. Wie seltsam grausam das Gefühl, wenn der beste Kumpel einfach das Schieben des Kinderwagens übernimmt. Wie stressig und aggressivmachend das Schreien des Babys, wenn man grad auf dem Weg nach Hause ist und es regnet und man es daher nicht aus dem Wagen nehmen kann. Wie ungehalten manche Menschen reagieren, wenn es an der Kasse etwas länger dauert. Wie genervt die Blicke, wenn das Baby weint und sich nicht beruhigen lässt und sich dafür ausgerechnet den Augenblick an der Kasse mit Wocheneinkauf ausgesucht hat... Es gibt noch unzählige solcher Momente.
Du siehst, eine anstrengende Wochenbettzeit. Nicht nur für mich. Auch mein Sohn hat sicherlich viel mitgemacht. Aber jetzt haben wir unsere Ruhe. Ich habe gelernt, nein zu sagen und lasse mir von keiner Oma oder Tante oder sonstwem ein schlechtes Gewissen einreden, weil wir nicht hinfahren oder zu Besuch kommen. Wir haben nicht mal ein Auto. Wer uns also sehen will, muss fragen. Und meistens sage ich nein. Es ist einfach zu stressig, so viele Leute zu bedienen, die sich sowieso nur für das Baby interessieren. Nach der Mama fragt keiner. Und auch wenn ich früher immer dachte, ich werde niemandem die Erlebnisse meiner Geburt ungefragt erzählen: es ist dennoch wichtig, alles zu reflektieren und sich ein Bild der Erinnerung zu schaffen. Mein Freund hat die Zeit im Kreißsaal, als er noch dabei sein durfte, ganz anders beschrieben, als ich es dachte. Es ist wichtig, dieses krasse Erlebnis für sich zu verarbeiten. Und vor allem sollte man als Mama mehr an sich selbst denken. Die anderen kommen noch früh genug zu ihrem Recht. Das hätte, im Nachhinein betrachtet, mein Freund besser abfedern können, indem er mir hätte raten können, keinen Besuch zu empfangen. Aber ich mache ihm keinen Vorwurf. Er war genauso durch den Wind und nervös mit diesem winzigen Bündel Leben, das uns geschenkt wurde.Jetzt komme ich aber zum Schluss. Es tut gut, mal all die aufregenden Tage zu reflektieren. Es wühlt zwar vieles auf, aber es hilft auch sehr, schwierige Zeiten zu verarbeiten.