Autoreninfo | Sylvia Koppermann | |
aktualisiert: 27.01.2020 | Mehrfache Mutter u. Autorin | |
Medizin, Gesundheit und Erziehung |
Austragungsort: Unsere Stadthalle, auf deren Bühne schon unzählige große Schauspieler standen und die in der Zeit zwischen den Theaterstücken eine Turnhalle ist. Bei uns weiß man eben noch, was Doppelnutzung ist!
Hunderte von Kindern stürmen an diesem einen Tag die Säle, vollziehen akrobatische, wilde Sprünge, die sie dann als neueste Tanzschritte deklarieren, bewerfen sich mit Schokoküssen und Würstchen, bespritzen sich mit Erfrischungsgetränken, während lethargisch wirkende Eltern dazwischen herum torkeln und eigentlich nicht mehr nach ihrem eigenen Kind suchen, sondern schon froh sind, überhaupt ein Kind zu fassen zu bekommen.Ich erinnere mich gern, als ich damals im zarten Kindesalter dort jährlich mein neuestes Kostüm vortrug.
Bis zur Stadthalle schritt ich hoheitsvoll, achtete darauf, dass keine Schneeflocke den Stoff benetzte und benahm mich die erste Zeit auf der Feier vorbildlich. Das waren in etwa drei Minuten, dann war es vorbei mit Zurückhaltung und ich stürzte mich ins Getümmel. Wenn dann, gegen Ende der Veranstaltung, auch noch die drei besten Kostüme prämiert wurden - und ich schwöre, die Punktrichter müssen blind gewesen sein, denn ich war nie dabei - drehten etwa 200 nicht gewählte Kinder noch einmal völlig auf und verwandelten die Halle in ein Trümmerfeld aus Dekorationsfetzen und Resten der kulinarischen Versorgung.Und genau das wollte ich mir dieses Jahr wieder antun, diesmal jedoch aus der Sicht leidgeprüfter Eltern.
Nur war ich mir darüber im ersten Moment noch gar nicht im Klaren und kam erst durch meinen Mann darauf. So erzählte ich ihm von meinem Plan und schwärmte, wie sich doch unsere Mädchen amüsieren würden, als er mit geweckter Neugier nach Details fragte. Erschüttert sah ich ihn an.Alles klar, notiert.
Ellys prompter Kommentar: "Dann will ich eine lila Prinzessin sein!"Ebenfalls notiert.
Alle Augen richteten sich auf Ruby, die uns anstarrte, als wüsste sie nicht, was wir nun von ihr erwarteten. Mit gezücktem Stift über meinem gedanklichen Notizblock fragte ich: "Und was für eine Prinzessin möchtest Du sein?" Ihre Antwort war kurz und knapp: "Ja, Zensessin!"Super, das verschaffte uns Spielraum und wir entschieden uns für hellblau. Schon bald waren auch die passenden Kleider gefunden, die nicht nur wesentlich schöner als sonst zu kaufende Prinzessinnenkleider waren, sondern auch noch um einiges günstiger. Blumenmädchenkleider, wie sie schöner nicht sein könnten, für die kleinen Prinzessinnen!lig ließ sich diesmal sogar Ruby Raptor die wilde Lockenmähne bändigen, während Elly präzise Anweisungen gab, wie sie sich ihre Hochsteckfrisur vorstellte. Für eine Dreijährige war sie mir in dem Moment entschieden zu selbstbewusst! Dann kam der Moment, an dem unsere beiden Prinzessinnen in den Kleidern an uns vorbei stürmten und sich in Pose warfen, nach dem Fotoapparat schrien und mein Mann sich ein verstohlenes Tränchen aus dem Augenwinkel wischte. „Sind sie nicht einfach bezaubernd,“ näselte er und klang dabei fast wie ein feminin angehauchter Modezar, der ehrfürchtig vor seiner Kreation in die Knie ging. Nachdem wir dann Träger abgesteckt und Fotos gemacht hatten, begann die Schlacht ums Ausziehen der Kleider.
Da half kein Bitten und Betteln, die Kröten waren schneller als Kugelblitze. Erst nach langer Verfolgungsjagd hielten wir die Kleider in den Händen und wurden von den Prinzessinnen mit schmollender Nichtachtung gestraft. Keuchend ließen wir uns auf das Sofa fallen und Joe fragte unschuldig: "Meinst Du, wir müssen sie dann in der Stadthalle genauso jagen? Das wird ja was, wo doch da viel mehr Platz ist als hier."Und da kamen sie zurück, die Bilder von den Eltern, die damals ihre Kinder begleiteten. Keuchend durch die Halle stürmend, über Kinder stolpernd, verzweifelnd ihre Hände nach dem Spross ausstreckend und Namen rufend, die das passende Kind nicht im Traum mehr interessierte. Wie sie irgendwann in eine Grinsestarre fielen und nur noch auf der Bank ein Mantra beteten. "Es wird alles ein Ende haben ... irgendwann fallen sie müde um!"
Wie oft hatte ich als Kind diese Eltern für zusätzliches Spaßprogramm gehalten und mich genüsslich an einer Brause saugend an eine Brüstung gelehnt, um die wilden Verfolgungsjagden dieser Eltern zu beobachten, die in einer Meute, die an die Gremlins im Kino erinnerte, versuchten, ihre Nachkommenschaft einzufangen, die sich verhielt, als habe sie die Tollwut.
Und nun würde uns dieses Schicksal ereilen, nun würde sich irgendein anderes Kind an eine Brüstung lehnen und sich den Bauch vor lachen halten, weil es uns für eine Sketchtruppe hält, die den chinesischen Staatszirkus imitiert und dabei immer wieder verzweifelt die Namen "Elly", "Ruby" und "Zita" brüllt.Davon konnte ich ihn nur mit dem Argument abbringen, dass ich es begrüßen würde, wenn er den Kindern auf der Veranstaltung die anatomischen Unterschiede zwischen Mann und Frau demonstrieren würde, wo sich doch dazu viele Eltern genieren und die Kleinen ganz sicher wissbegierig unter seinen Rock schielen würden. Also entschied er sich letztendlich für den Piraten und fragte mich, als was ich denn gehen würde.
[SyKo]