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Diagnose Down-Syndrom: ein Schock.
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Autoreninfo | Sylvia Koppermann |
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aktualisiert: 19.03.2014 | Mehrfache Mutter u. Autorin |
Medizin, Gesundheit und Erziehung |
"Die Diagnose Down-Syndrom war ein Schock"
Als wir im Sommer 2011, in der 25. Schwangerschaftswoche die Diagnose bekamen, dass unser Sohn höchstwahrscheinlich Trisomie 21 hätte, waren wir geschockt. Es war anfangs nicht einmal die Diagnose selbst, sondern vielmehr die Art, wie der Arzt beim Organultraschall uns diese vermittelte.Recht wortkarg teilte er uns mit, dass diverse Maker auf Trisomie 21 hinweisen und wir möchten uns doch bitte umgehend einen weiteren Termin geben lassen, um eine Amniozentese vornehmen zu lassen, da man durch die Fruchtwasseruntersuchung sicher feststellen kann, ob das Down-Syndrom tatsächlich vorhanden wäre.
Bestätige sich die Diagnose, sollten wir dann auch recht bald Entscheidungen treffen, um, so wörtlich, „das Problem lösen zu können.“
Down-Syndrom kein Ausschlusskriterium
Empört, fast mehr aus Reflex, bäumte ich mich auf. Das Down-Syndrom sei sicher kein Ausschlusskriterium für uns, dieses Kind nicht zu bekommen.Mein Mann verließ wütend das Sprechzimmer, weil er mit der unsensiblen Art des Arztes nicht umgehen konnte und am liebsten laut geworden wäre, wäre da nicht unsere damals knapp vier Jahre alte Tochter mit im Untersuchungszimmer gewesen.
Erste Anruf bei der Hebamme
Geschockt rief ich meine Hebamme an. Für mich war es, als wäre meine eben noch bunte Welt, in der wir uns auf den ersehnten gemeinsamen Sohn freuten, plötzlich schwarz-weiß. Um mich herum ging der Alltag der Menschen weiter, die ich vor dem Betreten der Arztpraxis bereits gesehen hatte. Als ich wieder hinauskam, war meine Welt verändert. Durch meine Hebamme bekam ich eine Woche später einen Termin in einem anderen Pränatalzentrum, wo sie die sehr fürsorgliche Ärztin um mich bemühte.
Der Verdacht verhärtet sich
Auch sie sah die Maker, eine Duodenalstenose, einen Herzfehler und die erhöhte Fruchtwassermenge. Aber sie sprach nicht von meinem Kind als „Problem“, für das man eine Lösung finden müsste. Ich verließ die Praxis mit dem Wissen, dass mein Sohn mit einer 80-prozentigen Wahrscheinlichkeit Trisomie 21 haben wird und rechnete eigentlich damit, nun erst recht am Boden zerstört zu sein.
Die Welt gerät aus den Fugen
Die ganze Woche, bis zu diesem Termin, war ein Gefühl in mir, das mich erschreckte. Meine bisherige Welt war aus den Fugen geraten und ich suchte in mir nach der Verbindung zu meinem Sohn, die ich doch bis zur ersten Diagnose so intensiv empfand. Wie konnte es sein, dass ich einerseits überzeugt war, auch ein Kind mit Down-Syndrom bekommen zu wollen, es ebenso, wie meine anderen Kinder zu lieben und dann die Verbindung nicht spürte?
"Unser Sohn würde anders sein"
In mir war etwas, das sich anfühlte, als würde ich gehetzt. Schlagartig sollte ich verstehen, dass unser Sohn „anders“ sein würde, man redete auf mich ein, in mich zu gehen und irgendwie schämte ich mich, wenn ich genau das versuchte. Ich schämte mich nicht für den kleinen Jungen in meinem Bauch, sondern für den Schock, die Ängste und Verunsicherungen. Als ich an der Seite meiner Hebamme das Pränatalzentrum verließ, war jedoch meine Welt nicht mehr so schwarz-weiß, wie kaum zwei Stunden zuvor noch. Irgendetwas war dort, auf dem Untersuchungstisch der Ärztin und im Ultraschall passiert.
Die Diagnose annehmen
Ich nahm das Leben um mich herum nicht mehr als so fremd wahr, sah mich, genau wie wie vor der ersten Diagnose, als ein Teil dieser Welt, in der alle Farben, Gerüche und Geräusche auch zu meinem Leben und nicht nur zu dem der Anderen gehörten. Und in meinem Bauch spürte ich plötzlich so etwas wie eine Wärme. Als sei mein Sohn eine leuchtende und heiße Kugel, erst noch winzig, sich aber beständig ausbreitend, bis mein ganzer Bauch von diesem Licht und der Wärme erfüllt war. In diesem Moment, nach einer Woche, die ich wie in Trance erlebte, war ich zurück im Leben, zurück aus dem Schock und bereit, für meinen Sohn einen Kampf aufzunehmen.
Entbindung planen
Die kommenden Wochen waren hart.Aufgrund der Auffälligkeiten am Herzen und Darm, entschieden wir uns für eine engmaschige Betreuung. In einer medizinischen Hochschule waren alle Voraussetzungen gegeben, um einerseits entbinden zu können, aber auch unseren Sohn sofort und umfangreich betreut zu wissen. Zwischen den Terminen versuchten wir uns daran zu gewöhnen, dass unser Sohn ein zusätzliches Chromosom hatte und wir taten, was wohl viele Eltern in dieser Situation tun: wir spekulierten.
Gespräche führen und über Ängste sprechen
Angefangen mit Vermutungen über Fehldiagnosen, bis hin zu Diskussionen, weil wir unterschiedlich mit der Situation umgingen, gab es keinen Tag, an dem wir nicht das Gefühl hatten, das Down-Syndrom unseres Sohnes verändere alles. Mein Mann, der schweigsamer war und größere Bereitschaft zeigte, alles auf sich zukommen zu lassen und ich, die reden, planen und sich Gedanken machen wollte, standen uns gegenüber. Irgendwann warf ich meinem Mann ungerechtfertigt vor, er versuche das Down-Syndrom zu ignorieren, was mich verletze und unserem Sohn keine Hilfe sei. Er antwortete, dass für ihn nur relevant sei, dass wir einen Sohn bekommen und alles für ihn getan werden soll, damit sein Herz und der Darm ihm doch ein gutes Leben versprechen könnten. Das zusätzliches Chromosom interessierte meinen Mann nicht. Für ihn war wichtig, dass unser Sohn eine Chance bekommt, leben zu können. Für die organischen Probleme wären Ärzte da. Unsere Aufgabe bestünde darin, unseren Sohn zu lieben und ihm alle Möglichkeiten zu bieten, sich gut zu entwickeln.
Eine Probe für die Partnerschaft
Ich starrte meinen Mann an. So Recht er auch hatte, was ich erst später begriff, war ich in dem Moment nicht fähig, seine Worte als richtig zu empfinden. So schrie ich ihn an, wie er dermaßen herzlos sein könnte, wir müssten doch planen, uns mit der Diagnose auseinandersetzen, uns über das Down-Syndrom informieren und uns Gedanken machen, wie wir unseren Sohn bestärken könnten, sich in der Gesellschaft, die ihn sicher oft ausgrenzen würde, selbstbewusst zu behaupten. An diesem Abend konnte ich noch nicht verstehen, dass mein Mann mir weit voraus war. Er nahm unseren Sohn an, wie er eben war und würde nichts anderes in dem Kleinen sehen, als seinen Sohn, dem er nach Kräften alles gab. Ich war diejenige, die die größeren Ängste hatte und als ich das erkannte, brach ich weinend zusammen, weil ich mich schuldig unserem Kind gegenüber fühlte. Wie konnte ich mich auf dieses eine Chromosom mehr fixieren und dabei so sehr zur Glucke werden, dass ich unseren Sohn nicht mehr wirklich sah?
Die Bindung zum Ungeborenen wächst
Also begann ich, immer öfter mit meinem ungeborenen Kind zu reden. Nicht wie sonst, wenn ich ihm erzählte, wie ungeduldig wir auf ihn warteten, sondern ich sprach schonungslos ehrlich über meine Ängste, ihm nicht gerecht zu werden. Oft lag ich lange in der Wanne, streichelte den Kleinen über meinen Bauch und redete davon, wie ich gern für ihn da sein möchte, aber Angst vor den Fehlern hätte, die ich möglicherweise begehe.
Der Kleine strampelte, räkelte sich meiner Hand entgegen und immer öfter bildete ich mir ein, er zeige mir damit, dass ich mich doch beruhigen soll, weil wir es gemeinsam schaffen werden. Ich spürte, wie dieser kleine Junge für mich zum Lehrmeister wurde, obwohl doch eigentlich ich ihm später so viel beibringen wollte. Mit jedem Mal, wenn ich mit ihm sprach und seine Bewegungen in meinem Bauch spürte, war es, als spräche er zu mir und sagt: „Mama, warte ab, wir alle zusammen, Papa, Du, meine Geschwister und ich, wir werden ein tolles Team sein. Vertrau Dir selbst, denn ich vertraue Dir längst.“
Austausch mit anderen
Mag sein, dass mein Unterbewusstsein dies „hören“ wollte, aber es half mir, so viele Ängste abzulegen, dieses eine Chromosom mehr, nicht mehr zu sehen, sondern mich einfach nur, wie in jeder anderen Schwangerschaft auch, auf die Ankunft meines Kindes vorzubereiten. Ich meldete mich in einem Forum an, das von und für Eltern von Kindern mit Down-Syndrom ist, fand dort nette Menschen, die meine Gefühle verstanden, mir aber auch ans Herz legten, mich mehr mit Betroffenen auszutauschen, anstatt trockene Lektüre zu lesen, die von Wissenschaftlern oder Ärzten verfasst wurden, die keine persönlichen Erfahrungen aus der Elternrolle heraus mit Kindern mit Down-Syndrom hatten.
So kaufte ich mir Bücher aus der „Edition 21“ und lernte, wie auch ich von Vorurteilen behaftet und mit Unwissen gesegnet war. Immer öfter erzählte ich meiner Familie, was ich Neues gelernt hatte und amüsierte mich bald sogar, dass ich selbst noch vor wenigen Wochen so wenig Wissen besaß, an das ich mich jedoch klammerte und mir damit selbst im Weg stand. Mein Mann und meine älteren Kinder schienen aufzuatmen. Es war außer Frage, dass uns allen eine harte Zeit bevorstand, wenn ich zur Entbindung ging und dort auch Wochen, vielleicht Monate blieb, während die Ärzte versuchen würden, durch Operationen den schweren Herzfehler, den unser Kleiner leider hatte, weitestgehend zu beheben und auch die Verengung des Darms operativ zu entfernen, damit der Kurze normal essen und verdauen könnte.
Mit dem Austausch kommt die Vorfreude
Je mehr ich mich mit dem Thema Down-Syndrom befasste, mich mit anderen Eltern austauschte und in meiner Familie den Zusammenhalt spürte, desto größer wurde die Freude auf meinen ungeborenen Sohn. Ich sah das zusätzliche Chromosom nicht mehr als ein Damoklesschwert. Und wenn mich jemand auf meinen Bauch ansprach, dann berichtete ich stolz und erfreut von meinem ganz besonderen Sohn.
Die Aufgaben, uns auf die Bedürfnisse des Kleinen einzustellen, waren nichts mehr, was mir Angst machte, sondern eine Herausforderung, der wir uns alle gemeinsam stellen durften und von denen wir überzeugt waren, sie alle zu meistern.
"Wir halten zusammen"
Meine älteren Kinder brachten es schließlich auf den Punkt. „Weißt Du Mama, wenn wir den Kurzen in unsere Mitte nehmen und zusammenhalten, dann kann uns doch die Welt da draußen, wenn sie ihn nicht akzeptieren will, egal sein. Die Hauptsache ist doch, dass wir als Familie zusammen sind und unseren Kleinen bei uns haben.“
Wie Recht sie doch hatten und wie lange ich brauchte, um das zu erkennen!
Geburt vier Wochen zu früh
Mein Sohn wurde fast vier Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin geboren. Die Geburt musste eingeleitet werden, da die Versorgung der Nabelschnurgefäße nicht mehr ausreichend vorhanden war. Direkt nach der Geburt kam er auf die Kinderintensivstation und wurde im Alter von wenigen Tagen am Darm operiert. Mit Erfolg. In den kommenden Wochen und Monaten plante man auch die ersten Operationen am Herzen, die dann aber nicht mehr möglich waren, da Komplikationen auftraten, die die nötigen Operationen verhinderten. Mein Sohn starb drei Tage bevor er vier Monate alt geworden wäre. Sein ganzes Leben verbrachte er in der Klinik, zumeist intensivmedizinisch betreut.
Oft stand ich an seinem Bett, blickte auf die Zugänge, Monitore, hörte die Geräusche der Geräte und fragte mich, ob dies das Leben sei, das ich ihm wünschte. Vor seiner Geburt waren doch alle so zuversichtlich gewesen, hatten uns erklärt, dass es nicht einfach, aber auch nicht unmöglich sein würde, ihn zu retten und dass er dann bald nach Hause könnte.Doch immer wenn ich mit mir haderte, sah ich in sein Gesicht. Wie er mich ansah, mir den Kopf zu wandte, lächelte und mich aufforderte, einfach nur bei ihm zu sein.
Das kleine Herz hatte nicht genug Kraft
Dieser kleine Mann, dem ich alles beibringen wollte, wurde für mich zu einem Lehrmeister. Er zeigte mir so viele kleine Freuden, die für mich vorher selbstverständlich waren und als er gehen musste, weil sein kleines Herz den Belastungen nicht mehr Stand hielt, fühlte ich mich nicht nur einsam und verlassen, vermisste nicht nur, sondern hatte auch das Gefühl, hilflos in einer Welt ausgesetzt zu sein, die ich nicht mehr verstand. Was sollte aus mir, aus uns als Familie werden, wo unser Oberhaupt fehlte, der kleine Wikinger, der uns an jedem Tag seines Lebens die Welt und all ihre Freuden von Neuem zeigte?
Wenn ich über die Ängste und Verunsicherungen vor der Geburt nachdenke, die Zeit des Schocks, dann muss ich fast über mich lächeln. Nein, stünde ich heute noch einmal vor der Diagnose, dass mein Kind Down-Syndrom hätte, wären meine Ängste ganz sicher groß, ob organisch alles gesund ist, aber das eine Chromosom mehr, würde mich nicht mehr schockieren. Im Gegenteil. Es wäre mir eine Ehre, wieder Mutter eines Kindes sein zu dürfen, das so besonders, einzigartig, stark und bezaubernd ist, wie es schon sein Bruder war, der uns verlassen musste. Ich hätte keine Angst mehr vor den Herausforderungen, die ein Down-Syndrom mit sich bringt. Nur davor, dieses Kind wieder gehen zu lassen. Und ich danke meinem kleinen Sohn, der auf seine Weise nun bei uns ist, dass er mir all das zeigte.
"Ein kostbares Geschenk"
Sehe ich heute da draußen Kinder mit Down-Syndrom, ist das verbunden mit Wehmut, da ich meinen Sohn vermisse. Aber jedes dieser Kinder, das von seiner Familie willkommen angenommen wurde und sowohl geliebt, als auch behütet und gesund aufwachsen darf, ist auch für mich wie ein Geschenk, selbst wenn ich sie nur aus der Ferne sehe oder ihnen im Vorbeigehen lächelnd zuzwinkere.
Und manchmal, wenn ich mit ihren Eltern ins Gespräch komme, bestätigen sie mir, was auch wir erlebten. Diese Kinder mit Down-Syndrom, sind nicht einfach hilflos, wie wir es uns vorstellen, sondern ein kostbares Geschenk für ihre Familien. Sie lehren uns mindestens so viel, wie wir ihnen beibringen könnten und zeigen uns eine Welt, die so viel größer ist als die, die wir zuvor kannten.
[SyKo]