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@BLE09 und @All
"Ich besitze meinen Partner nicht."
Wenn ich von "wir" rede, meine ich auch nicht dich im Speziellen, sondern uns Menschen im Allgemeinen. Ich besitze meinen Mann auch nicht und bemühe mich, ihn so zu lassen, wie er ist. Und er versucht das bei mir genauso. Das gelingt uns nicht immer und es war früher auch ganz anders. Unsere Ehe funktioniert erst, seit wir aneinander gewachsen sind, auch an den Dingen, die uns nicht gefielen oder gefallen und seit wir uns darum bemühen, aufzuhören, den anderen verändern zu wollen.
Die allermeisten Beziehungen laufen aber anders. Liebe bedeutet in unserer Gesellschaft nicht, dass wir den Partner freilassen, ihn so sein lassen, wie er ist und ihn unterstützen, sich zu seiner besten Version zu entwickeln, die der andere für richtig hält. Liebe bedeutet in unserer Gesellschaft, den anderen nach unseren Vorstellungen zu formen, zu verändern, ihn für unser Glück oder unser Leid verantwortlich zu machen, ihn einzuengen, von ihm zu erwarten, von ihm zu verlangen und so weiter und so weiter. Der Begriff der Liebe hat die höchste Bedeutung in unserer Kultur verloren, vielleicht sogar auf der ganzen Welt. Vielleicht wurde dieser höchste Begriff auch nie flächendeckend sondern nur sehr vereinzelt gelebt. Wir wollen den Partner an uns gebunden sehen, damit er nur uns gehört.
Es hat Gründe, warum die Scheidungsrate so hoch ist und die liegt darin begründet, dass "wir" von unserem Partner/unserer Partnerin erwarten, dass er/sie dafür verantwortlich ist, dass es uns gut geht. Am Anfang jeder Beziehung schafft der andere das auch, da hängt der Himmel voller Geigen. Der Partner ist wie eine Droge für uns und wenn er nicht da ist, dann sind wir wie auf Entzug. Durch den anderen fühlen wir uns plötzlich wertvoll und vollständig, ist er weg, fehlt uns etwas – und das ist die Krux. Wir sind nicht vollständig ohne ihn und das ist die schlimmste Illusion. Das Problem ist, wie bei jeder anderen Droge auch, lässt die Wirkung irgendwann nach und dann fangen wir an, an dem anderen rumzumäkeln, weil wir diese schöne Ausgangssituation wieder herstellen wollen und der Illusion aufsitzen, dass der andere nur etwas verändern muss, damit es uns wieder so gut geht wie am Anfang. Das funktioniert aber immer nur kurzfristig und vor allem immer kürzer.
Nur, wenn wir verstehen, dass der andere nicht für unser Glück verantwortlich ist sondern nur wir alleine für uns selber und das alles um uns herum nur "Beiwerk" ist, dann können wir eine lange, gute und erfüllende Beziehung mit einer Person führen. Die meisten haben das aber nicht begriffen und manch einer wird mir da widersprechen, aber um jeder Diskussion in diesem Punkt den Wind aus den Segeln zu nehmen: Es ist genauso, wie ich sage und keiner muss und kann mich vom Gegenteil überzeugen. Wer glaubt, dass es anders geht, der irrt und wird das früher oder später auch erleben.
Wir suchen bei unserem Partner immer danach, dass er unser Loch im Inneren füllt. Die Liebe, die wir uns selber nicht geben können, muss der Partner uns geben. Und das kann nicht funktionieren, das weiß ich nicht nur, aber besonders aus eigener Erfahrung.
Wenn wir uns ansehen, was wir von unserem Partner erwarten, dann ist doch klar, dass wir es nicht ertragen wollen, dass er noch jemand anderen liebt. Es heißt dann, man könne keine zwei Menschen gleichzeitig lieben. Das ist eine ganz große Lüge und die beruht darauf, dass wir den Partner nicht teilen wollen, weil wir glauben, er nimmt uns was weg, wenn er noch jemand anderen liebt. Vor allem würde es an unserem mickrigen Selbstwertgefühl kratzen, wenn er noch eine andere lieben würde. Und hier meine ich nicht, dass der Partner sich durch die Weltgeschichte vögelt, ich rede hier von aufrichtiger Liebe. Wenn sich nichts ändern würde in deiner Beziehung, er dich weiter lieben, respektieren und ehren würde und dein Partner trotzdem noch eine andere Frau liebt und gelegentlich trifft, weil sie auf ihre Weise sein Leben sinnvoll bereichert, dann würde beinahe jede Frau dennoch Amok laufen. Wenn ihr aber nichts fehlt und alles gleich bleibt, warum dann? Weil sie ihn besitzen will, für sich alleine haben will, unter keinen Umständen teilen möchte. Das kratzt an der Ehre, am Selbstwertgefühl. Warum? Weil wir Besitzansprüche haben zum Einen und weil wir zum Anderen unser Selbstwertgefühl daraus ziehen, dass der Partner doch nur uns liebt, weil wir viel besonderer sind als jede andere Frau. Das ist nachvollziehbar, aber eben eigentlich keine Basis, denn es gilt einfach zu verstehen, dass der Partner eben NICHT dafür verantwortlich ist, dass wir uns wertvoll fühlen. Und wenn er doch dafür verantwortlich ist, dann stimmt etwas beim anderen nicht, denn dann ist das Gefühl abhängig von äußeren Faktoren wie dem Verhalten und der vermeintlichen Liebe des Partners. Es ist nicht echt. Denn in dem Moment, wo der Partner weg ist, vielleicht weil er sich für eine andere Frau entscheidet, fallen wir in ein tiefes Loch und glauben, dass wir nichts mehr wert sind, weil der Partner uns diesen Wert offenbar abgesprochen hat, wenn er eine andere Frau vorzieht. Vielleicht versteht jemand, was ich damit ausdrücken, auch wenn ich hier auf einem Niveau argumentiere, was für manch einen die Bereitschaft voraussetzt, sich mit einer anderen Sichtweise auseinanderzusetzen, als die, die er bisher von Liebe und Partnerschaft hatte.
Das alles heißt nicht, dass ich polygam lebe, auch ich bin monogam geprägt und müsste viel lernen, um mit Polygamie bei meinem Mann umzugehen. Ich müsste vor allem lernen, mich selber zu lieben und mir selber all die Wertschätzung zu geben, die man normalerweise von seiner Umwelt erwartet, damit es einem gut geht. Aber ich glaube dennoch, dass es möglich ist und einer Beziehung keinen Abbruch tut, wenn alle Parteien damit einverstanden sind und vor allem gelernt haben, wie Liebe wirklich funktioniert. Denn sie funktioniert definitiv nicht, indem wir besitzen und einengen. Es gibt genügend Aussteiger in Kommunen, die das leben können, ohne eifersüchtig zu sein, ja ich glaube, sie profitieren sogar sehr davon. Es ist einfach nicht wahr, dass es langfristig nicht gut gehen kann und wenn jemand das glaubt und behauptet, dann ist er einfach sehr gefangen von seinen ganz persönlichen Vorstellungen davon, wie Liebe und Partnerschaft zu funktionieren haben. Es gibt aber eben noch andere Lebensmodelle und es gibt Menschen, die eine vielleicht viel reinere Vorstellung von Liebe haben und auch, wenn es schwer zu glauben ist, ich glaube, die reinere Vorstellung von Liebe schließt eben auch mit ein, dass man den Partner frei lässt und erkennt, dass die Liebe nicht geschmälert wird, wenn noch andere Menschen im Leben existieren, die man auf einer tieferen Ebene lieben und das auch ausleben kann.
Ich sage nicht, dass Polygamie das Ziel ist und ich bin sicher, dass es auch nicht für Jedermann richtig ist. Aber genauso ist eben auch Monogamie nicht für jeden richtig und diejenigen, die so viel Liebe in ihrem Herzen tragen, tun mir in unserer Gesellschaft in gewisser Weise leid, weil sie es nicht ausleben können und gleichzeitig glücklich sein dürfen. Beinahe keine Frau würde akzeptieren, dass sie den Partner teilen muss, auch wenn seine Absichten noch so rein und voller Liebe sind. Umgekehrt natürlich genauso wenig.
Eine Beziehung sollte keine Verpflichtung sein, sondern eine Chance zum beidseitigen Wachstum. Ich habe viele Jahre gebraucht, um das zu verstehen, um auch zu verstehen, dass das, was mich bei meinem Partner am meisten auf die Palme bringt, für mich die größte Chance bietet, um mich weiterzuentwickeln und mich selber besser kennenzulernen. Wenn das verstanden ist, dann mag es sein, dass viele Menschen es vorziehen werden, monogam zu leben. Aber nicht, weil sie den anderen dann besser kontrollieren können oder das zumindest glauben, sondern einfach, weil sie, wenn dieses Einstellung auf beiden Seiten vorhanden ist, sich mit ihrem Partner am besten weiterentwickeln können und der jeweils andere ihnen erlaubt und unterstützt, die höchste Version ihrer Selbst zum Ausdruck zu bringen. Dann, und nur dann kann eine monogame Beziehung wirklich erfüllend und glücklich sein. Und dann, und nur dann, kann auch eine polygame Beziehung wirklich erfüllend und glücklich sein.
Und nach dieser Erklärung kann man zu dem Schluss kommen, dass es egal ist, ob man eine monogame oder polygame Beziehung lebt. Es kommt nicht darauf an, wie viele Menschen ich oder mein Partner liebt, es kommt auf die innere Einstellung zur Liebe und zur Selbstliebe an. Das hört sich für viele vielleicht viel zu abgehoben an. Aber es ist gleichsam nicht weniger wahr, nur weil es für manch einen schwer zu begreifen ist.
Ich für meinen Teil habe kein Interesse an einer polygamen Beziehung. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch mal sagen kann, aber ich möchte mit keinem anderen Mann verheiratet oder zusammen sein als mit meinem Mann. Nicht, weil er perfekt ist, sondern weil er für mich der perfekte Partner ist, um mich weiterzuentwickeln und natürlich, weil ich ihn liebe und zwar so, wie er ist. Aber ich schließe nicht aus, dass irgendwann eine andere Zeit kommt, wo ich mich neu orientieren möchte, weil wir aneinander ausgelernt haben.