Ich bin ein Teenager der wunderbaren 80er Jahre.
Was waren das noch für Zeiten ..
Kaum eine Epoche in der Menschheitsgeschichte war vielfältiger in Sachen Musik!
Man konnte, ja, durfte sogar alle Stilrichtungen gut finden, ohne von anderen schief belächelt zu werden.
Kaum eine Zeit war, meiner Meinung nach, besser geeignet, durch Ausprobieren, die eigene Richtung zu finden.
Ich lief herum in giftgrünen Cord-Steghose, lange weiße Satinbluse, barbierosa Taillengürtel ..
Schwarze Minis, mit Spitzenleggins, Pumps mit Pfennigabsätzen, knallrote Bluse mit 60er Jahre Stehkragen ..
In meinem Ohr baumelte ein 12 cm langes Kreuz, um den Hals trug ich Ketten, die aus Sicherheitsnadeln aneinander gereiht waren ..
Überall, wo man hinsah, glitzerte es, schrie grelles Make-up und die Frisuren würden heute noch Tokio Hotel erblassen lassen.
Neben "Love is a shield", hörte ich "Mädchen, Mädchen", "Geil", "Kyrie", "Loving you's a dirty job", "Road to nowhere", "The wall", und alles, was die Hüfte zucken ließ.
Und dann DER Hit von 1986:
Clowns und Helden, mit "Ich liebe Dich"!
Mein Mann und ich lernten uns im Übrigen 1986 kennen.
Modetechnisch war selbst in unserem Bergstädtchen alles vertreten.
Da gab es die Waver, Grufties und Teddys, die Rocker und Punker, eigene Stilrichtungen ..
Und Moppelchen mitten darin!
Mein Mann besitzt beispielsweise noch heute seine geliebte Flickenjeans, die speckig ein eigenes Schrankfach hat, weil sie, wie es die Tradition verlangt, seit 22 Jahren nicht gewaschen wurde.
Was haben sich unsere Eltern und Großeltern aufgeregt, wie wir rumliefen.
Und unsere Antwort war immer "Omma, das trägt man heute so!"
Meine eigene, kunterbunte Wandlung, vollzog sich innerhalb weniger Monate, kurz vor meinem 15. Geburtstag.
Schaffte die Familie es zuvor noch, mich willenlos ins Markenklamottengeschäft der Kreisstadt zu schleppen, wo ich in Faltenrock, nebst Unterrock verpackt wurde, zog ich bereits in der Frühjahrssonne eben nur mit dem halb durchsichtigen Unterrock zur Schule, während Oma und Mutter sich im Türrahmen röchelnd ans Herz griffen.
Ja, wir waren sexy, fast nuttig, die Jungen starrten uns mit offenen Mündern, aus denen noch die Abdrücke der jahrelangen Zahnspangen blinkten hinterher.
Und eben diese Jungen, luden uns Mädchen in Filme wie "La Boum", "Dirty Dancing" und "Cinderella'87" ein, um in der Dunkelheit des Kinosaals verstohlen ein paar Küsschen zu ergattern.
Es war die Zeit, in der man als Teenager alles, was man tat, mit der passenden Musik im Hinterkopf erlebte.
Man wird älter, gründet Familie, der Flitter verfliegt, wie Rauch im Wind und ehe man es sich versieht, sind die eigenen Kinder Teenies.
Und dann geht er los, der Moderterror, der Kampf um die Klamotten, das Machtgehabe und die Statussymbole.
Bei uns begann es praktisch über Nacht.
Meine älteste Tochter kam nach Hause und verkündete, sie müsse UNBEDINGT auch diese Schlaghosen haben.
Schlaghosen?
Hatte ich etwas verpasst?
Gut, ich gebe zu, ich gehe nicht sehr häufig nach Klamotten für mich stöbern und verpasse somit eigentlich jede Moderichtung, was mir aber nichts ausmacht, da ich eh stets in die selbe Stilrichtung verfalle.
So wurde mir praktisch um die Ohren gehauen, dass es nun keine Hosen mehr mit enger Fußweite zu kaufen gäbe.
Hallo?
Ich, ein Kind der 80er, aufgewachsen in Stretch und hauteng, sollte meine geliebten Jeans, die die schmalen Fesseln (das mittlerweile einzig Schmale an mir) so liebevoll zu Geltung brachten, nicht mehr kaufen können?
Panik!
Und dann diese Schuhe:
Klobig, meterhohe Sohlen ..
Sie sahen für mich aus, als würde man mit dem Karton, statt der Schuhe, herumlaufen!
Es blieb mir nichts anderes übrig, als meine Tochter mit diesen Hosen glücklich zu machen.
Was sollte ich sonst auch tun?
Andere Hosen gab es ja nicht mehr!
Selbst zu filigranen Röcken, trugen die Mädchen Monsterbotten.
Aber es gab auch noch eine Steigerung:
Die Hüfthosen mit Schlag!
Nun muss ich erwähnen, dass meine Tochter zwar eigentlich schlank ist, aber auch so ihre Problemzonen hatte, die nun wunderbar betont wurden.
Das Hosenbund verwandelte die Beckenknochen in Büffelhüften und dank des immer breiter werdenden Schlages, wirkte mein Kind um die Hälfte gekürzt.
Da sie selbst diese Mode absolut chic fand, machte ihr das alles nichts aus.
Nur die arme Mama stand greinend daneben.
Und dann begann der Spaß, dass Moppelchen auch mal wieder neue Klamotten brauchte.
Nur über Kataloge und nach endloser Suche, fand ich den Klassiker, die Röhrenjeans.
Noch schlimmer sah es mit Oberteilen aus.
Dies winzigen Stoffstückchen mit Spaghettiträgern, passten kaum einem Teenager, wie man an den Bauchrollen sehen konnte, die einen nun überall angrinsten.
Bis heute bin ich davon überzeugt, dass Bauchnabelpiercings als günstigere Alternative zum fehlenden Stoff der Oberteile, in Mode kamen und nicht umgedreht.
So, nun stelle man sich mal eine Lady, wie das Moppelchen vor, mit Oberweite in Körbchen E, die sie zwingt, Blusen und Pullis in XXL-Größen zu kaufen, wie sie nun verzweifelt auf der Suche nach T-Shirts, durch Klamottenläden in etwa 35 Städten tobt.
NICHTS!
Absolut gar nichts war für einen kräftigern Oberkörper ausgelegt und als mir eine Verkäuferin riet, ich sei doch bei Ulla Popkins besser aufgehoben, kriegte ich den ersten Hysterieanfall.
Ich wollte enge Jeans, Oberteile mit sexy Ausschnitten, die hüftlang meine Brötchenhüften kaschierten und die Modebranche wollte mich zwingen, entweder wie eine Presswurst oder im Rentnerlook herumzulaufen.
Ich bestellte mir die ersten Prospekte für Ganzjahres-Nudistencamps und war bereit, notfalls auch nach Frankreich auszuwandern, wo ich auf einem 3400 Quadratkilometer großen Terrain das ganze Jahr nackig herumlaufen hätte können.
Dann änderte sich die Mode wieder einmal.
Alles wurde gerade, sportlich, noch schmaler ..
Hatten wir wenige Jahre zuvor die Sport-TShirts aussortiert, weil sie absolut unweiblich waren, stopfte man nun bis zur Boutique jedes Regal voll damit.
Mädchen, denen man wahrscheinlich die Hüftknochen entfernt hatte, die möglicherweise das Wachstum ihres Busens mit Hormonen unterdrückten, lächelten von Modeplakaten auf mich herab und mehr als einmal stand ich unnötig lange vor einem der Werbeschilder und überlegte, ob diese geschlechtslos wirkende Wesen tendenziell eher einen Jungen oder Mädchen darstellen sollte.
Und auch die Frisuren veränderten sich.
Plötzlich musste man sich im Friseursalon rechtfertigen, warum man eine Dauerwelle chic findet, anstatt das lange Haar durch die Heißmangel zu drehen, damit es akkurat glatt, wie ein Brett vom Kopf absteht.
Schickte man uns in der Jugend zum Friseur, weil kein Schnitt mehr zu erahnen war, wurde genau dieser Effekt nun, für Unsummen, ins Haar geschnippelt.
Und ich stand daneben, sprachlos, fassungslos, kopfschüttelnd und griff mir selbst ans Herz.
Wo waren die süßen, sexy Klamotten geblieben?
Warum staffierte sich eine ganze Generation aus, als wären sie weder Männlein noch Weiblein?
Wie konnte man sich unter Teppichfrisuren, die körperlichen Attribute weggehungert, überhaupt noch wohl fühlen?
Da ich eh nichts richtiges für mich zum Anziehen fand, die Diskussionen mit den Friseuren satt hatte, verfiel ich ein tiefes Loch und ließ mich modisch gehen.
Im Gammellook öffnete ich einigen Jugendlichen die Tür, die mit offenem Mund auf mich herabstarrten, dann lächelten und schließlich jubelten:
"Mensch Klasse, das ist ja geil! Endlich mal eine Mutter, die mit der Mode geht! Das steht Dir wahnsinnig gut!"
Perplex schlurfte ich in die Küche, brühte mir meine Kaffee, setzte mich aufs Sofa und versuchte das zu verstehen.
Da rennt mein Zweitgeborener an mir vorbei.
Ich blicke ihm nach, glotze auf seinen Slip, das Hosenbund, das knapp unter der Pobacke endet, die Beule des Gesäßteiles, dass wie ein Frischhaltebeutel in der Kniekehle baumelt.
Und während mein Mann mit meinem Sohn in eine heftige Diskussion verfällt, ob er nicht wenigstens eine anständige Flickenjeans statt dieser Ballonhosen zu tragen gedenken könnte, überlege ich, dass da nun kommen kann, was will, aber ich werde ums verrecken diesen Modegag nicht auch noch mitmachen!
Und dann denke ich an Oma und Mutter, wie sie fassungslos hinter mir herblickten und ich glaube, in ihren Augen, so etwas wie ein schadenfrohes Funkeln zu sehen.