Autoreninfo | Sylvia Koppermann | |
aktualisiert: 26.02.2020 | Mehrfache Mutter u. Autorin | |
Medizin, Gesundheit und Erziehung |
Mit viel Stimmung ging es dann los. Heute gab es keine Etikette, heute war der Tag, an dem man alles war, Hauptsache wild und gut drauf. Halb zwei wollten wir losfahren, einen kurzen Stopp beim bekannten Fast-Food Restaurant einlegen, auf dem Weg zum Einlass ein paar selbst gemixte Cocktails kippen. Es war Punkt 14:10 Uhr, da lutschte Moppelchen schon am ersten Cocktail, während sie wartend, neben ihrem Mann auf dem Tritt vorm Haus saß und auf die Freundinnen wartete.
Als diese dann kamen, war das erste Fläschchen meines Sommerdrinks dann fast leer, ich dafür in Hochstimmung und mit viel Gelächter ging es los.Zwischenzeitlich bat ich meinen Mann dann, mir den Spiegel aus meiner Lidschattenbox zu fummeln, da mir das mit meinen neuen, künstlichen Krallen nicht möglich war. Dazu muss gesagt werden, dass meine Freundinnen mir am Abend zuvor, passend zu den frisch getönten Haaren, einen edlen Satz Alltags untauglicher Fingernägel an die Hände betoniert hatten, die zwar wunderschön anzuschauen, aber nicht unbedingt sehr praktisch waren.
Als mein Mann schließlich triumphierend mit dem Schminkutensil in der erhobenen Hand auftauchte, guckten die Jungs im Rock um kein bisschen entspannter. Vom Busparkplatz nah dem Veranstaltungsgelände, ging es noch ein paar hundert Meter durch den Wald und, wie es wohl alle männlichen Wesen einer Spezies tun, verschwand mein Mann in den Büschen, um die Strecke zu markieren.
Nun standen wir vier Weiber auf dem Waldweg und johlten meinem Holden anzügliche Bemerkungen hinterher. Das wiederum wurde von einem Späthippie, der sich gerade mühsam den Berg hinauf kämpfte, gebremst von einer Wand der Ausdünstungen seiner mindestens 8 Liter Bier, die er sich zuvor verinnerlicht hatte, missverstanden.Er fühlte sich scheinbar angesprochen und der Mut des Alkohols nährte die Selbstüberschätzung, all diese vier Damen hoffnungsvoll glücklich machen zu können. Mit einem lyrischen Singsang "Ach welch wunderbare Maiden!" stolperte er, mit ausgebreiteten Armen, auf uns zu.
Mein Mann kam gerade aus den Büschen, sah natürlich unseren Hippie nicht, der nun nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte und lag, statt uns, in dessen Armen. Beiden war das wohl etwas unangenehm und während wir Frauen uns gegenseitig wieder auf die Beine helfen mussten, weil wir lachend auf den Rücken gekippt waren, verschwand unser poetischer Damenbeglücker. Mit hochrotem Kopf stampfte mein Mann den Rest bis zum Einlass hinauf und schimpfte vor sich hin, wie unappetitlich er es fände, von fremden Männern angesprungen zu werden.Nun wollte unser Bekannter nicht eher hineingehen, bis der Weinbrand leer war, da inzwischen auch deutlich wurde, wie gewissenhaft die Einlasser geschmuggelte Getränke konfiszierten.
Moppelchen, gerade in Spendierlaune, verteilte dann hurtig den Alkohol auf alle, kurz angestoßen...Irgendein Depp hatte seine Zigarettenkippe liegenlassen, ich übersah es natürlich, ließ mich cool neben meine Freundin fallen, stützte mich noch cooler ab und setzte gerade zu einer Rede an, da wurde es auch schon unangenehm heiß unter meiner Hand.
Wie nach einem Tor im Fußballstadion sprang ich auf, hüpfte wild herum, bekam dabei begeisterte Zurufe Umherstehender, die dachten, ich sei ekstatisch der Musik verfallen und meine Freundin pieselte sich fast vor Lachen in den Schlüpfer. Maulig gönnte ich mir ein Bierchen und wartete auf meinen Mann, der mal eben wieder für kleine Jungs musste.Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff.
Schließlich standen wir dann auch direkt vorn an der Bühne, als sie ihren Wahnsinnsauftritt hatte.
Joe brauchte bis zum dritten Song, um den erröteten Kopf zu heben und sich von der Musik mitreißen zu lassen. Doro schien auch nicht nachtragend zu sein, denn mein Mann ist davon überzeugt, dass sie ihm ein Lächeln geschenkt hatte, wobei es ja auch noch die Theorie gibt, von der ich hoffe, sie stimmt, dass Doro ihn vor dem Klo nicht gehört hatte. Ein Stück weiter brüllte jemand "Ich liebe diese Frau! Ach, ich liebe Euch alle!" und knuddelte die Umstehenden.Ich versuchte an der Getränkebude einen Kaffee zu bekommen, der lief allerdings noch durch, deshalb sollte ich in 10 Minuten wiederkommen.
Während nun meine Freundin über die Ungerechtigkeit meckerte, dass man noch nicht einmal hier einen Mann bekäme - sie ist nun Mitte 40 und hat zeitweise Anflüge, ähnlich der berüchtigten "Midlife crisis" - und nur ihre Schwester mit einem Verehrer die Bierbude gestürmt hatte, wo sie noch wie eine alte Jungfrau im "Bestellt-und-nicht-abgeholt-Regal" herumsaß, schwor sie den feierlichen Eid, sich den nächsten Kerl zu krallen, der sie berührte.Während ich nun leicht säuerlich die Stufen hinaufkletterte, sprang plötzlich meine Freundin auf, leicht hysterisch aber mit einem Grinsen bis an den Hinterkopf. "Ich hab einen!" schrie sie und winkte mich heran, ich solle mich beeilen. Auf ihrem Arm saß ein giftgrüner Grashüpfer!
Sie erklärte mir, in ihrem Alter sollte Frau nicht mehr wählerisch und ein kleiner grüner Kerl sei eben besser, als gar kein Mann.Während ich noch laut darüber nachdachte, woher man einen so kleinen Ring für ihn bekommt, verschwand er so plötzlich, wie er gekommen war und meine Freundin bedankte sich ironisch, dass ich den einzigen Mann, der ihr in letzter Zeit auf die Pelle gerückt ist, mit dem Wort "Verlobung" in die Flucht geschlagen habe.
Während draußen ein paar Frauen klatschten, sprangen zwei Jüngelchen erschrocken fast ins Pinkelbecken und am Lachen vor dem Wagen bemerkte ich, dass ich wohl wieder etwas zu laut gesprochen hatte, als ich zu den beiden Jungs sagte: "Keine Sorge, ich tu Euch nichts! Meine Jungs zu Hause haben mehr und auch keine Angst vor mir!" Auf dem Rückweg zur Treppe bekam ich dann endlich einen Kaffee, den ich unbeschadet bis zu meinem Platz balancierte. Vorbei am Ex, der verdächtig nah bei meiner Tochter stand und dem ich, ganz wie ein eiskalter Mafiosi, Fingerzeichen gab, ihn im Auge zu behalten.
Nun wollte ich die Show meiner Lieblingsband in vollen Zügen genießen, da krabbelte unser Bekannter, wie in einem Horrorfilm, die Stufen zu uns empor. Er arbeitet als Bäcker, hatte somit in der Nacht zuvor keinen Schlaf und dann auf dem Konzert 1 bis 10 Bierchen zu viel, was die Fußmotorik stark einschränkte. Dazu hatte er Hunger bekommen und so versuchte er nun, eine Portion Pommes mit extra viel Ketchup die Treppe hinauf zu schleppen. Unterwegs polterte die Gabel weg und letztendlich saß er schließlich erschöpft vor uns, zuckte nur mit dem Schultern und aß, so gut es eben ging, mit den Fingern.Eher wohl mit beiden Händen und dem ganzen Gesicht.
Ich hatte es zuerst fast nicht gemerkt, doch dann sprang ich dazwischen. "Liegenlassen, bitte, der gehört uns!" schrie ich den Sani an, der mich verdutzt anglotzte.
"Quatsch, der ist nur satt und keiner hat ihm das Schäuzelchen abgetupft." erwiderte ich, mit einem Fingerzeig auf die leere Pommesschale.
Der Bus, der uns zum Parkplatz brachte fuhr Schritttempo durch die Menschenmassen, die nun das Konzertgelände verließen und während ich im Geiste den Vergleich an Autofahren in Zeiten der Krötenwanderungen dachte, ließ ich den Tag Revue passieren.
[SyKo]