⎯ Wir lieben Familie ⎯

Der heilige Chaosabend

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fotolia.de - @Andrey Kuzmin
Heiliger Abend im Chaos!
Bild: fotolia.de - @Andrey Kuzmin

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AutoreninfoSylvia Koppermann
aktualisiert: 04.11.2019Mehrfache Mutter u. Autorin
Medizin, Gesundheit und Erziehung
Traditionen sind die Dinge, die sich immer wiederholen. Genau deshalb war von Anfang an klar, dass ein absolut friedliches und harmonisches Fest mit unserer Chaosbande in Grimms Märchenbücher stehen müsste.

Das Chaos bricht los

Eigentlich ist nie die Frage, was alles passiert, sondern nur wann das Chaos ausbricht und von wem es eingeläutet wird.

In diesem Jahr schlug Malte die Festtagsglocke, in dem er pünktlich am 23. Dezember seinen Haus- samt Zimmerschlüssel verlor. Im Vorfeld sei angemerkt, dass Türen, deren Klinken nicht abgebaut wurden, grundsätzlich abgeschlossen werden müssen.

Grund dafür ist die Privatsphäre, die man sich in unserer Familie sichern muss. Nicht vor menschlichen Familienmitgliedern, sondern vielmehr vor der Neugier einer, nun fast ausgewachsenen deutschen Dogge Skadi. Sie findet in jedem Zimmer etwas, das sie heimlich erobern kann, etwas, auf das sie den Stempel MEINS setzt, sei es auch nur ein Bett, in das dann niemand mehr kommt, weil sie sich, einem Betonklotz ähnlich darin ergossen hat.

Unterstützt wird sie von ihren fleißigen Helfershelfern, den Katzen, die während Skadis Nickerchen im Bett ihre Fähigkeiten als Innendekorateure trainieren, indem sie sämtliche mobilen Gegenstände um räumen oder herunter werfen.

Den halben Weihnachtstag verbrachte nun mein Sohn auf Wanderschaft, um seinen Schlüssel zu suchen, doch dieser war wie vom Erdboden verschluckt. Kein Wunder, hatte es schließlich auch zwischendurch geschneit, was meinen älteren Sohn die tröstenden Worte finden ließ: "Ey, das ist doch kein Drama! Im Frühjahr taut es und dann finden wir auch Deinen Schlüssel wieder!"

Malte standen die Tränen in den Augen. "Soll das heißen, ich darf jetzt bis zum Frühling bei Dir im Zimmer auf Deinem Sofa schlafen und komme nicht einmal mehr an meine Klamotten?"

Wieder war mein Großer voll Worte des Trosts.

"Ach, nun sieh nicht gleich schwarz. Ist doch alles eine Frage des Timings. Wir waschen Deine Sachen, die Du anhast, abends, trocknen sie über Nacht und morgens kannst Du sie sauber wieder anziehen. Darfst halt nur die nächsten drei Monate nicht wachsen!" Es half nichts, ein neues Schloss musste her.

Nun ging der Spaß los, denn für ein passendes Schloss müsste man die Tür vermessen, was ja nicht ging, da diese verschlossen war. Das Schloss zu öffnen übernahm mein Mann, nachdem unser Ältester, Till, dies gern getan hätte, sich jedoch Brechstange und Vorschlaghammer als Feinmechanikwerkzeug parat legte.

Zwei Stunden später dröhnte das Gejubel durchs Haus, die Tür war offen und das sogar unbeschadet!

Joe hielt einen Dietrich in der Hand, den er aus einer Schraube gebastelt hatte und ich fragte mich für einen Moment, ob ich mir sicher sei, meinen Mann so gut zu kennen, wie ich glaubte.

Die Zeit, in der das Schloss geknackt wurde, nutzte ich für den Kampf mit meinen beiden Festbraten-Enten. Von einer Freundin hatte ich den Tipp mit der Füllung aus Früchten, Rosinen, Lebkuchen und Nüssen. Sie schwärmte so sehr davon, dass ich genau das Rezept ausprobieren wollte und so warf ich alle Zutaten in eine Schüssel, griff nach dem Pürierstab und schredderte fleißig drauf los, bis mir ein beißender Qualm in die Nase stieg.

David gegen Goliath

David gegen Goliath, die Füllung hatte gewonnen, mein Pürierstab hauchte sein Leben mit dem Gestank verbrannter Autoreifen aus.

Von der Ablage her vernahm ich das leise, schadenfrohes Kichern der beiden halb gefrorenen Enten. Richtig in Rage kramte ich vom Dachboden mein fossiles Vorläufermodell eines Lebensmittelschredders aus, der zwar noch per Handkurbel funktionierte, aber immerhin seinen Zweck erfüllte. Bis zu den Ellenbogen in Füllungsmatsch steckend, kam Joe kurz dazu und schüttelte den Kopf. Er dachte wohl eher, ich bereite mir eine Fangopackung zu.

Nachdem stundenlanges Kurbeln meinen Bizeps auf Qualifikationsgröße zur Wahl des Mr. Universe gebracht hatte, stopfte ich die Enten aus, bis ihnen das Kichern verging. Joe kam wieder in die Küche, gerade als ich den Enten das Hinterpförtchen zunähte. Ein böser Blick von mir ließ ihn sich jedoch jeden Kommentar verkneifen.

Die Enten hatten endlich kapiert, dass sie verloren hatten und lagen ergeben im Ofen, wo sie sich knusprig braun brutzeln ließen und ich begann den Tisch einzudecken, als mir einfiel, dass der zweite Hochstuhl, den wir für meine Enkelin brauchten - um sie soweit im Zaum zu halten, dass sie nicht die Festtafel in die Showbühne ihrer artistischen Einlagen, verwandeln konnte - noch immer reparaturbedürftig auf dem Dachboden stand.

Also wurde erneut der Handwerkertrupp, bestehend aus meinen drei Männern, losgeschickt, die im fliegenden Eifer begannen zu sägen, schrauben und zu hämmern. Das Ergebnis war ein stabiler Hochstuhl, in dem wir Zita sicher parken konnten, dessen Tischplatte jedoch in etwa die Maße der gesamten Tafel einnahm, was nun das logistische Problem aufwarf, neun andere Festmahlteilnehmer an eine Seite des Tisches zu quetschen. So thronte Zita nun an der Tafel, während wir anderen vorsichtig versuchten, wenigstens nur von den eigenen Tellern und nicht der der Sitznachbarn zu essen, was angesichts der Enge zu einem Geduldsspiel ähnelte, bei dem die Bewegungen miteinander koordiniert und aufeinander abgestimmt werden mussten.

Endlich war das Essen vorbei und die Bescherung konnte beginnen.

Ruby bekam als erstes das Geschenk, das ihr Malta gekauft hatte: einen kleinen Softball mit Dumbo darauf. Er hatte es gut gemeint mit dem Verpacken und das Geschenkpapier mit Tesa am Ball fixiert. Beim Entfernen blieb nun aber auch ein Teil der Bemalung am Klebestreifen hängen, so dass Ruby, beim Anblick des nun skalpierten Dumbo in einen Schreikrampf ausbrach.

Auch die beiden völlig überdrehten Zweijährigen, Zita und Elly, wurden ruhig gestellt, in dem sie ihr erstes Geschenk auspacken durften.

Und schon gingen die obligatorischen Prügeleien der beiden los. Nach dem Motto “Alles meins, was mir gefällt”, schlugen sie sich gegenseitig die Kartons um die Ohren. Als Elly Anlauf nahm, um sich im freien Flug, auf ihre vier Monate ältere Nichte zu werfen, die bereits zähnefletschend den Angriff erwartete, mussten wir eingreifen. Die beiden sind fix, das muss man ihnen lassen, denn als wir bei den Kampfzicken ankamen, lag Elly schon auf Zita, drosch mit dem Deckel des Lernspiels ihrer Nichte, auf deren Kopf herum, die wiederum sich gerade so fest in Ellys Pullover verbissen hatte, dass Till bereits mit den Worten “Ich hole die Brechstange, damit kriegen wir den Kiefer schneller auseinander!” los gerannt war.

Zwischen all dem saß Klein-Ruby und aß sich am Geschenkpapier satt, während meine Schwiegermutter um den Tisch tanzte und verzweifelte Blicke zu meinem Mann warf, der bitte Geleitschutz zur Toilette geben sollte, da sie sich momentan nicht unbedingt in das Körbchen schleppen lassen wollte, um dort den Kuschelbären für die Hündin zu spielen. Während ich seufzend in die Küche schlurfte, um den Punsch aufzusetzen, der mir gerade so nötig erschien, wie ein Elektrolytetropf für einen Verdurstenden und mein Mann vor dem Klo wartete, dabei dem Hund erklärte, dass Oma nicht bei ihm schlafen würde, amüsierte sich Schwiegervater darüber, welch diplomatische, erzieherisch Fähigkeiten er doch besäße, da die drei Kleinen unter seiner Regie friedlich miteinander spielten.

Und wie sie spielten!

Elly pflückte den gesamten Schmuck rechts vom Baum ab, reichte ihn an Ruby weiter, die ihm durch intensives voll Speicheln neue Klebkraft verlieh, welche dann von Zita genutzt wurde, um den Schmuck links auf zwei Äste übereinander zu türmen. Mein Baum erstrahlte in einer windschiefen Kreation à la Pisa, rechts in ökologischer Natürlichkeit, links wie eine Christbaumschmuck-intensiv-panierte-Trauerweide. Ich saß bereits, die Punschschale liebevoll im Arm wiegend, in der Sofaecke und beschränkte mich auf hysterisch kicherndes Beobachten.

Meine Söhne saßen am Küchentisch, ein Skatblatt in der Hand und zockten Schwimmen, unter dem großkotzigen Einsatz der Geldscheingeschenke. Als ich vorsichtig einwarf, ich sähe nicht so gern, wenn man unser Haus in eine illegale Glücksspielhöhle verwandele, erntete ich verständnislose Blicke und den Kommentar “Oh Mensch, Mama, wir geben uns doch unsere Einsätze nachher wieder!”

Und da regen sich andere Eltern auf, wenn ihre Kinder zu viel Zeit mit Spielkonsolen verbringen!?

Im Geiste sehe ich meine Söhne schon als Croupiers eines Casinos oder, noch schlimmer, als Hütchenspielbetreiber auf Amüsiermeilen spanischer Urlaubshochburgen. Elly und Zita bildeten mittlerweile eine Kette zum Knusperhaus, deckten das Dach ab und bunkerten Eichhörnchen gleich die Süßigkeiten im leeren, untersten Fach des Bücherregals, in das sie sich kurz darauf verkrochen, um sich eine Dröhnung Zuckerschock zu verpassen. Schwiegermutter tanzte erneut mit bittendem Blick um den Tisch und verfluchte die Funktion ihrer Nieren, sowie uns, da wir den beklopptesten Hund dieses Planeten hätten, der sie immer wieder versuchte, ins Körbchen zu locken. Till saß währenddessen in der Ecke und bearbeitete den Speckstein, den er inklusive Werkzeug zu Weihnachten bekommen hatte, während Malte sich verstohlen umsah, weil er befürchtete, zu seinem Laubsägeset auch einen eigenen Kobold, Marke Pumuckel, bekommen zu haben.

Jemma hatte die Ruhe weg und verbrachte die familiäre Harmonie damit, mit Freundinnen SMS auszutauschen.

Langsam kehrte Ruhe ein.

Jemma und Zita zogen gen heimatlicher Wohnung und Elly wurde ins Bett verfrachtet, aus dem Mundwinkel noch den Fuß eines Schokoladenweihnachtsmannes baumelnd. Schwiegervater genoss die Kuschelattacke unseres Katers Skit, der sich sonst nie von anderen streicheln ließ, nun aber auf Opa herum sprang, als sei dieser eine Hüpfburg, während Oma, die Angst vor Katzen hat, zitternd in der Ecke kauerte und betete, dass sich keine unserer Katzen entschloss, nun auch sie lieb zu haben.

Die Liebe unseres Hundes, hatte ohnehin ihren Bedarf mehr als gedeckt. Zwischenzeitlich nahm ich den Kampf mit dem Schmutzgeschirr auf, was wiederum für verständnislose Blicke meines Mannes sorgte, der mich fragte, ob ich denn all diese Harmonie ausgerechnet jetzt durch einen Putzzwang bekämpfen müsste. Also setzte ich mich wieder aufs Sofa, kuschelte erneut mit der Punschschale und knurrte in der sanften Tonlage eines Pitbulls “Oh, Du fröhliche...”.

Punkt Mitternacht fand der Spuk ein Ende. Die Kinder waren im Bett, Schwiegereltern auf dem Heimweg und Joe sah mich mit verklärtem Blick an. “Weißt Du, Maus, ich fand Weihnachten früher immer irgendwie blöd. Da war überall die Hektik, diese vorgetäuschte Harmonie und das ganze Theater mit erzwungenen Fressgelagen. Ich hätte nie gedacht, dass man Weihnachten auch so romantisch und ruhig feiern kann!” Ich starrte ihn an, im Arm eine Punschschüssel, in der die restlichen Rosinen wie Hasenköttel umher trieben. Bei jeder Bewegung wurden Geschenkpapierschnipsel hoch geweht, die sich in Sofaritzen verteilt hatten und mit dem leichten Windzug durch die Wohnung stoben. In der Küche prügelten sich die Katzen, die versuchten, an die Entenknochen im Mülleimer zu kommen und unten im Flur jaulte der Hund an der Tür, weil er sein auserkorenes Schmusepüppchen, meine Schwiegermutter, vermisste. Und der Weihnachtsbaum ächzte, im verzweifelten Versuch, nicht auf die überladenen Schlagseite zu kippen.

Dann lächelte ich meinen Mann an.

“Ja, Schatz, da kannst Du mal sehen, dass Dir einfach nur die richtige Familie fehlte, die Dir zeigt, wie schön Weihnachten sein kann.” Und innerlich bekam mein Lächeln Bekräftigung, durch einen einzigen Satz, der sich jubelnd durch mein Hirn schraubte:

“Du hast es geschafft, Du hast überlebt, jetzt hast Du ein ganzes Jahr, um neue Kraft zu sammeln, denn das nächste Weihnachtsfest kommt ganz bestimmt!”

[SyKo]

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